Whitney – oder wo Pferde überall stehen können

Das Pferd ist in der Weltgeschichte mit Sicherheit das meist geschundene Lebewesen. Auf seinem Rücken wurden Kriege geführt, Gebiete erobert und verloren. Es half dem Menschen seine Felder zu bestellen und trägt ihn bis heute über alle Hürden, bis es nicht mehr kann.

Immerhin gab es einmal Kulturen, die dem Pferd dankbar für seine großen Taten waren. Doch das ist lange her. Letztens sah ich in der Instagram-Story einer Bekannten ein Bild, das sie aus einer TV-Sendung fotografiert hatte. Es ging dabei um vernachlässigte Pferde. Eines davon war in einem so schlechten Zustand, dass es eingeschläfert werden musste. Die Hufe des Tieres waren so lang, dass es nicht mehr aufstehen konnte. Ich dachte dabei an einige Pferde, die mir im Leben begegnet waren, die es nicht so gut hatten. Eines davon war Whitney.

Vor einigen Jahren waren wir auf der Suche nach einem Pony für die jüngste Tochter einer befreundeten Familie. Ich weiß noch, dass es Winter war. Wir mussten ziemlich weit fahren und es war dunkel, als wir in einem Dorf ankamen. Wir klingelten an einem Hoftor. Soweit ich mich erinnere, war es eine Metzgerei. Ein Mann öffnete uns und führte uns durch einen Hof, der nicht sehr groß war und lediglich von einer schwachen Glühbirne beleuchtet wurde. Er führte uns zu einem Eckgebäude, öffnete die wackelige Holztür und leuchtete mit einer alten schwachen Taschenlampe hinein. Wir konnten kaum fassen, dass dort in dem dunklen Verließ ein Pony stand. Seine Augen blinzelten uns gegen das Licht der Taschenlampe an. Die Farbe konnten wir in dem Moment kaum erkennen. Laut Anzeige war die kleine Stute braun, wie meine Monika. Der Besitzer führte sie in den vereisten, rutschigen Hof. Ich sollte mich „mal draufsetzen“. Eigentlich passte mir das gar nicht, aber ich hatte keine Wahl. Da die Kleine offenbar sehr lange in dieser Ecke, in der sie sich nicht einmal drehen und wenden konnte, gestanden hatte, buckelte sie gleich los. Gott sei Dank konnte das Pony sich in dem glatten Hof halten und rutschte nicht aus. Ich schickte Stoßgebete zu Himmel, dass mein Vater das Tier mitnehmen würde. Sie tat mir so unendlich leid. Mein Vater kaufte das Pony, da es ihm genauso erging. Auf der Heimfahrt sagte er: „Es ist unvorstellbar, in welchen Ecken Pferde stehen können.“ Er war auch fest entschlossen, das Pony zu behalten, falls unsere Freunde es letzten Endes doch nicht wollten. In ihrem Impfpass war der Name „Whoopi“ eingetragen. Während der Heimfahrt sollte ich mir einen neuen Namen für die etwa 1,20 m große Stute überlegen. Im Radio lief ein Lied von Whitney Houston und schon hatte ich einen Namen. Es war nicht der einzige Pferdekauf dieser Art, den ich gemeinsam mit meinem Vater erlebte. Jedes Mal sagte er: „Das Pferd bekommt ein neues Leben, also braucht es einen neuen Namen.“

Zu Hause angekommen, brachten wir Whitney in den oberen Stall. Als wir sie nun endlich unter ordentlicher Beleuchtung sahen, erschraken wir. Sie hatte extrem viele löchrige Stellen im Fell und wir waren nicht sicher, ob es etwas Ansteckendes war. Zur Sicherheit ließen wir sie über Nacht in einem abgetrennten Bereich bei der Waschbox stehen. Am nächsten Tag kam der Tierarzt und brachte uns eine Wurmkur und spezielles Shampoo mit, um die arme Whitney einmal richtig zu waschen. Er sagte, sie habe Milben und Würmer und dürfte vorerst nicht mit anderen Pferden in Berührung kommen. Wir wuschen das Pony über mehrere Stunden und schoren sein Fell. Die verfilzte Mähne und der Schweif bekamen ebenfalls eine Sonderbehandlung und am Nachmittag stand ein einigermaßen schickes Pony vor uns. Tatsächlich hatte sie viel Ähnlichkeit mit meiner Monika. Nun musste sie nur noch abnehmen und Muskulatur aufbauen. Als sie endlich komplett frei von Parasiten war, kümmerten sich die Mädels auf unserem Hof um sie. Der Freund meines Vaters holte sie dann weinige Monate später zu sich.

Wie es genau mit ihr weiterging, weiß ich nicht, aber ich denke, sie hatte letzten Endes ein besseres Leben. Leider habe ich kein Bild von ihr, darum sehr ihr als Titelbild eine Erinnerung an meine Hyundai in schwarz-weiß.

Dazu, was alles auf dem Rücken der Pferde ausgetragen wurde, finde ich das unten stehende Foto sehr passend. Anfang des letzten Jahrhunderts wurden die Pferde zwar durch Traktoren und Autos abgelöst, doch den Grundstock für unseren heutigen Fortschritt legten diese edlen Tiere. Ohne ihre Kraft, Schnelligkeit und Ausdauer wäre der Mensch nicht da, wo er heute ist. Alleine aus diesem Grund sind Bilder, wie sie vor kurzem in der Tiersendung eines Privatsenders gezeigt wurden, für mich unverständlich.