Pferde meines Lebens: Hyundai

Hyundai

Die Trakehnerstute Hyundai war das Geschenk meiner Eltern zu meinem 15. Geburtstag. Ich weiß, dass es ein sehr teures Geschenk war, nicht nur wegen des ideellen Wertes, denn vor kurzem habe ich die Quittung von damals gefunden. Aber über Geld spricht man ja nicht – hat Oma immer gesagt.

Als ich diese zierliche Rappstute auf dem Trakehnergestüt Willi Schneider kennenlernte, verliebte ich mich sofort in sie. Wer träumt mit vierzehn Jahren nicht von einem schwarzen Pferd? Und Hyundai war, bis auf ein paar Härchen an einer Fessel und drei (!) weißen Haaren, komplett schwarz. Die große Liebe war allerdings zu Anfang nur einseitig, denn die junge Dame von gerade mal drei Jahren war sehr eigensinnig. Sie verkörperte mit Sicherheit jedes Klischee, das man landläufig mit einem Trakehner verbindet.

Unser größtes gemeines Problem war, dass wir beide viel zu jung waren. Ich hatte bis auf meine Bella und unsere Monika nicht viel Reiterfahrung und Hyundai war frisch unter dem Sattel. Anfangs fiel ich fast täglich vom Pferd und ich bekam immer mehr Panik. Es war nicht so, dass sie einfach ein bisschen buckelte, Hyundai sprang mit allen vier Füßen in die Luft oder rannte unkontrollierbar los. Zu ihren Hochzeiten stieg sie und ließ sich einfach umfallen.

Eines Abends fragte mein Vater, ob ich sie nicht besser hergeben wollte. Meine Antwort war ganz klar: Nein! Denn nicht nur Hyundai war stur, ich konnte das auch – Moment mal… konnte? ? Ich bin wirklich stur und wenn ich etwas will, kann ich es auch erreichen, genau wie Hyundai.

Was Hyundai wirklich wollte, war springen. Wenn ich ihr Hindernisse aufbaute, zog sie das Freispringen alleine durch. Sie war nur immer froh und dankbar wenn ich mal höher baute zwischendurch. Im Winter standen unsere Zuchtstuten einmal auf dem eingeschneiten Springplatz. Alle Stuten versuchten zwischen dem Schnee nach Gras zu suchen, während meine Hyundai hochtragend und mit dicker Decke ein paar Runden sprang.

Diverse Reiterinnen unseres Hofes versuchten sich an ihr, doch der wirkliche Erfolg blieb aus. Heike fand immerhin Gefallen daran mit ihr zu springen. Sie musste sie dabei nur lenken. Geli, eine Westernreiterin auf unserem Hof, gab mir eine Weile Unterricht und das klappte recht gut. Sowohl für Hyundai, als auch für mich war es vorübergehend ein guter Weg. Allerdings muss ich gestehen, dass ich niemals einen Westernsattel auf einen Trakehner legen würde. Zumindest ist das meine offizielle Aussage, in Wahrheit kann ich die Dinger gar nicht gurten. 😉

Eines Tages kam eine erfolgreiche Turnierreiterin zu uns in den Stall, die versuchte mein Pferd zu reiten. Mit ihr kamen die Schlaufzügel und das, was man heute Rollkur nennt. Hyundais Verhalten würde immer schlimmer. Gott sei Dank kam ein guter Chiropraktiker irgendwann zu uns, der sagte, Hyundai hätte eine Verknorpelung am Atlaswirbel, bis in die Halswirbel hinein. Ich warf die Schlaufzügel in den Müll und keines meiner Pferde hat jemals wieder so ein Teil gesehen.

Im Jahr 1996 fuhren mein Vater und ich zum ersten Mal mit Hyundai zum Decken. Die Fahrt sollte vier Stunden dauern. Da Hänger fahren bis heute so gar nicht Hyundais Ding ist, polterte sie heftig hinter uns. Nach wenigen Kilometern auf der Autobahn meinte mein Vater, er würde kurz auf den Standstreifen fahren und nach ihr sehen, denn sie war so ruhig. Er rief dann nur noch, ich solle sofort aussteigen und kommen. Dann sah ich was passiert war: Hyundai war durch ihr Gehampel offenbar ausgerutscht und unter die Abtrennung des Zweierhängers gefallen. Auch ihr Kopf war nicht mehr an der richtigen Stelle, er war hinten an der Rampe. Wir standen unter Schock. Alle drei. Und zwar so sehr, dass wir Hyundai auf dem Standstreifen abluden und sie – fast anstandslos ihrerseits – wieder ordentlich aufluden. Wirklich verletzt war sie Gott sei Dank nicht und wir setzten unsere Fahrt in Richtung Uslar fort, denn dort stand mein Traumhengst Charly Chaplin.

Hyundai hat in ihrem Leben drei Fohlen geboren. Humphrey Bogart von Charly Chaplin, History von Bellheim und Harmony von Schampus. Bei allen drei Schwangerschaften war ich nervös, wie sonst vielleicht ein werdender Vater. Aber meine Hyundai hat alle Geburten gut gemeistert und war ihren Fohlen vom ersten Tag an eine tolle Mutter. Als History etwa vier Monate alt war, nahm Hyundai noch das Fohlen einer anderen Stute an, die von ihrem Besitzer noch vor Absetzen des Fohlens verkauft worden war. Die beiden Fohlen sahen aus wie Zwillinge und Hyundai behandelte sie auch so. Wichtig war ihr nur, dass History zuerst ans Euter durfte.

Ein Tick von Hyundai war, sich einfach umfallen zu lassen, wenn sie angebunden war. Einmal knallte sie dabei mit ihrem Kopf gegen meinen und ich landete ohnmächtig mit Gehirnerschütterung im Krankenhaus. Mein Bruder erzählte damals in der Schule, mein Pferd hätte eine Gehirnerschütterung, mir ging es gut weil mein Kopf so hart sei. Meine zweite Gehirnerschütterung erlitt ich am Abend vor meinem achtzehnten Geburtstag bei einem Sturz von Hyundai.

Die meisten dieser Geschichten verarbeitete ich in meinem Roman Parcours des Lebens. Leider tauchen Panikattaken beim Reiten hin und wieder noch auf

In der Zeit, als ich mit Hyundai, Humphrey Bogart, Harmony und Monika den elterlichen Hof verließ, ritt meine heute Schwägerin Hyundai und kam recht gut mit ihr klar. Leider hatte Hyundai ein paar Monate nach unserem Umzug in die Alzeyer Reithalle wieder einen psychischen Aussetzer und sie warf sich am Anbindeplatz auf den Futterwagen, der dort in der Nähe stand. Sie musste von unserem damaligen Tierarzt Dr. Bohn drei Stunden lang operiert werden. Als er mich an diesem Abend anrief, sagte er, dass er diese OP nur zu Ende geführt hätte weil er Hyundais unbändigen Lebenswillen gespürt habe. Ich bin ihm sehr dankbar dafür, denn diesen Lebenswillen hat sie bis heute.

Nach dem Unfall bekam meine Schwägerin ein eigenes Pferd und ich musste mit Hyundai von vorne anfangen. In der Zwischenzeit hatte ich meine Reitlehrerin Danielle kennen gelernt. Sie bildet nach den Regeln der klassischen Reitkunst aus und half mir mit Bogie und Harmony bis zum Ende. Sie setzte sich zwischendurch auch einmal auf Hyundai, doch mein Pferd bekam wieder einen Ausraster. Danielle Satz werde ich nie vergessen: „Mach was du willst mit ihr, aber setz dich nie wieder auf dieses Pferd.“ Dieser Satz war für mich Befreiung und Ansporn zugleich. Befreiung deshalb, weil ich eine Ausrede hatte, dieses Pferd nicht zu reiten und Ansporn, weil ich heimlich am Boden mit ihr alles nacharbeiten wollte, was ich mit Bogie und Harmony lernte.

Hyundai war etwa 15 Jahre alt als ich sie endlich richtig reiten konnte. Ich ritt dann auch Reitstunden bei Danielle mit ihr.

Das Jahr 2013 war für sie sehr schlimm. Im Februar wurde ihr ältester Sohn aufgrund seiner Krankheit eingeschläfert und im Juli hatte Harmony einen Unfall. Hinzu kam, dass es nur regnete und sehr wenig die Sonne schien. Sie war bereits 22 Jahre alt und ihr Stoffwechsel verkraftete das nicht mehr so gut. Als wir Harmony auf den Hänger luden, um sie in die Klinik zu bringen, stieß Hyundai einen Schrei aus, den ich bis heute nicht vergesse. Sie magerte zum ersten Mal in ihrem Leben extrem ab und ich hatte Mühe, sie wieder einigermaßen auf ihre alte Höhe zu bekommen. Es dauerte genau ein Jahr, bis sie wieder gut aussah.

Nach unserem Umzug auf den Oberwiesenhof 2015 blühte sie richtig auf. Sie wurde schon sehr bald Chefin der Stutenherde und ist es bis heute.

Ab ihrem 25. Geburtstag verlor sie immer mehr an Kraft und ich beschloss sie in Rente zu schicken. Die Narben ihres Unfalls mit dem Futterwagen setzen ihr im Alter auch zu. Nur ab und an, wenn sie richtig gut drauf ist, lasse ich sie in der Halle oder auf dem Platz rennen. Dabei springt sie dann auch mal mit allen Vieren in die Luft und zeigt mir, wie gut es ihr noch geht. Statt Hindernissen lege ich ihr auch mal einfach eine Stange hin. Dann strahlt sie förmlich und hüpft darüber. Ihr früher so tiefschwarzes Fell wird immer grauer. Eine Mitarbeiterin des Oberwiesenhof gab ihr daher schon den Spitznamen „Schimmelrappe“.
Seit sie in Rente ist gab es immer wieder einige Tiefs, bei denen ich befürchtete, dass sie mich bald verlassen würde.

Am schlimmsten war natürlich die Woche Anfang Februar, als Harmony in die Klinik kam. Hyundai fraß fast nichts mehr, noch nicht einmal ihr geliebtes und gesundes Seniorenfutter. An dem Tag, als ich nach Harmonys Tod zu Hyundai in die Box ging, schlief sie gerade im Stehen. Ich stellte mich in die Ecke und weinte. Plötzlich streckte sie mir ihren Kopf entgegen, stupste mich an, schnaufte einmal kräftig durch und nickte. Ich bin mir sicher, dass sie mir sagen wollte, dass sie meine Entscheidung für ihre Tochter verstand – so schlimm es auch war. Am selben Tag fing sie wieder an richtig zu fressen und ich bin sehr erstaunt wie gut sie im Moment aussieht.

Meine Eiserne Lady, ich weiß, dass wir durch die Hölle gegangen sind. Wir sind aneinander gewachsen und stark geworden. Und ich weiß, dass die Liebe zwischen uns heute nicht mehr nur einseitig ist, wie zu Anfang.

Bitte bleib noch lange bei mir.

Wenn ihr euch jetzt fragt: Wer nennt sein Pferd nach einer Automarke? Ganz einfach, ein Kfz-Mechaniker. Jörg Schneider, der Besitzer von Hyundais Mutter Haica nannte seine anderen Fohlen Honda, Herby und Harley. Ich bin mir sicher, dass ich das einzige Pferd mit dem Namen Hyundai auf der ganzen Welt habe.

4 Antworten auf „Pferde meines Lebens: Hyundai“

  1. Liebe Barbara,
    wie immer – sehr schön und sehr bewegend geschrieben. Wie immer bei solchen Zeilen – „regnen“ meine Augen und wie schon öfters gibt es Parallelen – ? – nur hat meine Liebe eine andere Jacke an. Du sprichst mir aus der Seele. – Genau an solchen Pferden wachsen wir – wenn wir uns mit Ihnen „auseinander“ setzen – und versuchen Lösungswege für ein Miteinander zu finden …immer und immer wieder…..ok…Turnierstar wird man meist wohl eher nicht (mehr) ? – aber man lernt fürs „reale“ Leben so viel und es kommt auch so viel „zurück“!!!
    In diesem Sinne
    LG
    ?

  2. Na ja, Kfz-Mechaniker wäre etwas hochgegriffen, Hobbyschrauber trifft die Sache eher. Hyundai, Herby ( bitte mit y) und Harley waren meine Namen, das erste Fohlen Haicena und das letzte Habsburger hab ich nicht zu verantworten. Harley war wohl auch nicht unbedingt die richtige Nahmenswahl, sie war alles andere als gemütlich. Hatte nie ein Pferd, das auch im Renngalopp noch so herrlich bocken konnte. Die wahre Lebensfreude, allerdings nicht unbedingt für meine Reitbeteiligung. Viele Grüße Jörg Schneider

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